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Beitrag vom 17.02.2006
Vanessa Jopp im Interview
Tatjana Zilg
Mit "Komm Näher" gelang ihr ein tragikomischer Einblick in die Gefühlswelt einsamer GroßstädterInnen. Kurz vor der 56. Berlinale führte AVIVA-Berlin ein Gespräch mit der Regisseurin.
Vanessa Jopp studierte an der Hochschule für Film und Fernsehen München. Ihr erster Spielfilm "Vergiss Amerika" (1999) wurde mit dem Hypopreis des Filmfests München, dem First Steps Award und dem Nachwuchspreis des Verbandes der deutschen Filmkritik 2000 ausgezeichnet. 2001 folgten "Engel und Joe" (Publikumspreis Tallin Film Festival und Preis für den besten Darsteller, Film Festival Toronto), 2002 die Tatort-Produktion "Der Schwarze Troll". Für "Komm Näher" wurde Vanessa Jopp zum Deutschen Filmpreis für die beste Regie vornominiert.
AVIVA-Berlin: Was hat Sie an dem Drehbuch von "Komm näher" am meisten angesprochen? Was war der Auslöser, es umsetzen zu wollen?
Vanessa Jopp: Es gab gar kein Drehbuch. Die Idee war, mit den Schauspielern durch die Beobachtung von realen Menschen Figuren zu entwickeln und dann daraus ein Treatment zu machen - eine Art Drehbuch ohne Dialoge. Die Dialoge wurden dann wiederum am Set improvisiert. Also eine komplett andere Herangehensweise als sonst bei einem Film.
AVIVA-Berlin: Das ist überraschend, ich habe das bei Ihrem Film gar nicht so wahrgenommen, dass es ein Improvisationsfilm ist. Ich habe die Handlung als in sich sehr schlüssig empfunden.
Vanessa Jopp: Ja, das war auch mein größtes Augenmerk, ich wollte einen Improvisationsfilm machen, aber nicht so einen, der sich in endlosen Improvisationen verliert bis der Plot abdriftet, sondern es sollte richtig auf dem Punkt sein. Es sollte ein unterhaltsamer Film werden und kein langweiliger. Es war nicht einfach, das hinzubekommen, weil ich einerseits sehr offen sein musste, andererseits darauf achten musste, ob ich genügend Material habe, damit die einzelnen Szenen später im Film funktionieren werden.
AVIVA-Berlin: Was war die Intention der Thematik, die Beziehungsprobleme, aber auch soziale Faktoren wie Hartz 4 und Niedrigverdienst umfasst?
Vanessa Jopp: Bei dem Film war es mir wichtig, Menschen verschiedenen Alters aus unterschiedlichen Bevölkerungsschichten zu zeigen. Es gibt auch eine Landschaftsarchitektin mit ihrem Mann. Ich wollte aber auch die Menschen darstellen, die man auf der Strasse sieht und wo man tatsächlich denkt - wenn man beobachtet, wie sie sich benehmen, fast autistisch manchmal - dass sie seit 10 Jahren wahrscheinlich wirklich niemanden mehr geküsst haben. Ich habe mich schon immer gefragt, wie sie da rauskommen. Ich finde es total mutig von einer Figur wie Johanna, eine Kontaktanzeige aufzugeben und so einen Schritt zu initiieren. Für jüngere Leute ist das nichts besonderes mehr, aber in ihrem Alter gehört viel dazu, sich das zu trauen.
AVIVA-Berlin: Haben Sie eigentlich zusätzlich in den Milieus der ProtagonistInnen recherchiert?
Vanessa Jopp: Ich mach ja nicht so viele Filme und geh auch nicht sooft ins Kino, weil ich ein kleines Kind habe. Ich beobachte aber total viel im Alltag. Für "Komm Näher" musste ich da nicht noch viel dazu recherchieren. Das ist alles durch die Beschäftigung mit den Figuren entstanden. Jeder hat doch beispielsweise schon mal Leute mit so einer geringen Frustrationstoleranz beobachtet, die alles so gegen sich werten, wie Mathilda es tut. Wenn man zu ihr was sagt, erwidert sie sofort: "Passt Dir mein Gesicht nicht?" Und zu dem Polizisten: "Sehe ich aus wie ein Assi?" Sie fühlt sich sofort angegriffen, obwohl er sie gar nicht beleidigen wollte. Wenn man wachsam durch die Welt läuft, kann man das alles beobachten.
AVIVA-Berlin: In den Kritiken wurde die Rolle der Mathilda öfter mit dem Borderline - Syndrom in Verbindung gebracht. War das beabsichtigt? Wie sie sich verhält, als sie den jungen Polizisten Bronski kennenlernt und ihn nie richtig an sich heranlässt, erinnert schon an die Nähe-Distanz-Probleme, die für die Borderline-Diagnose typisch sind.
Vanessa Jopp: Ja, da hat sie es schon eher schwer. Aber wir haben da nicht an dieses Krankheitsbild gedacht. Meret Becker war am Flughafen und hatte eine Frau beobachtet, die sich einerseits sehr auffällig gebärdete in so einem engen Lederkostüm, anderseits schaute sie sich immer um, ob sie jemand beobachtet.
Sie war sehr im Zwiespalt, wollte auffallen und wollte es doch nicht. Dann haben wir noch einige andere Leute beobachtet, wo man sah, dass sie sehr um sich selbst kreisen. So ist das entstanden. In der Psychologie ist das ja auch immer diffizil, wann wird jemand als krank beurteilt und wann sind das nur ein paar Züge. Mathilda ist da eher kommunikationsgestört und hat eine niedrige Frustrationstoleranz.
AVIVA-Berlin: Wie haben Sie die SchauspielerInnen für Ihr Konzept gefunden? Sie passen ja tatsächlich perfekt zu den Charakteren und wirken sehr authentisch, insbesondere Meret Becker und Marie-Luise Schramm. Hatten Sie sie sofort als Besetzung im Kopf oder haben Sie längere Zeit gecastet?
Vanessa Jopp: Meret Becker war zum Beispiel jemand, mit dem ich schon immer einmal zusammenarbeiten wollte. Mit Marek Harloff und Jana Pallaske hatte ich schon gearbeitet. Fritz Roth habe ich in "Muxmäuschenstill" gesehen. Ich wollte einfach ein Ensemble zusammenstellen, das sehr unterschiedlich ist, und habe darauf geachtet, dass alle eine besondere Art zu spielen haben und vom Aussehen nicht diesen typischen Schauspielergesichtern entsprechen - wie etwa Seriengesichtern oder klassischen Schönheiten, wo man doch gleich merkt: Das ist ein Schauspieler. Ich habe bewusst nach Leuten geschaut, die da etwas anders sind. Heidrun Bartholomäus und Marie-Luise Schramm zum Beispiel, sie sehen einfach nicht aus wie normale Schauspielerinnen, sondern haben besondere Charaktergesichter.
AVIVA-Berlin: Der Humor ist etwas rauh in "Komm Näher", z.B. wenn Andi David erzählt, dass er vor seinem Date mit Johanna Spermien hinter die Ohren tupfte, weil das den Sexappeal erhöhen soll. Sie haben ja auch einige Zeit im Comedy - Bereich gearbeitet und bei der "Wochenshow" mitgewirkt. Was zeichnet für Sie guten, aussagekräftigen Humor aus?
Vanessa Jopp: Bei dem Film war es mir sehr wichtig, humorvolle Momente unterzubringen, da die Themen Einsamkeit und Sehnsucht eher schwer sind. Ich mag keine Filme, die mich nur deprimieren, und so ganz platte Komödien sind auch nicht meins. Ich liebe Filme, bei denen ich lachen und weinen kann. Und solche Filme möchte ich auch selbst machen, wo die Leute lachen können und weinen, wenn sie traurig sind. Humor ist für mich Situationskomik, aber ich kann auch manchmal über blöde Witze lachen. Der schönste Humor ist für mich, wenn etwas ganz Schreckliches passiert und dann folgt ein "comic relief". Oder umgekehrt:
Man muss über etwas lachen und in der nächsten Sekunde bleibt einem das Lachen im Halse stecken. Zum Beispiel ist die Szene mit Mathilda und Bronski am Imbiss sicherlich ein bisschen albern, wie die beiden da rumkichern mit der Wurst,
aber irgendwie schaut man gerne zu und muss mitschmunzeln, und dann kippt
die Szene ganz extrem, wenn Mathilda plötzlich wieder völlig unnahbar wird.
AVIVA-Berlin: Die Frauen in "Komm Näher" spüren die Sehnsucht nach einer lebenswerten Beziehung. Was ist Ihnen in einer Partnerbeziehung am wichtigsten?
Vanessa Jopp: Ich denke, Beziehungen funktionieren nur dann, wenn beide Menschen in der Lage sind, sich zu entwickeln. Wenn einer aufhört, sich zu entwickeln, und der andere sich von ihm entfernt, wird die Beziehung das nicht lange aushalten.
Das verheiratete Paar im Film - die Landschaftsarchitektin Ali und ihr Mann David - hat sich schon länger auseinanderentwickelt. Beide hatten aber nicht das Bewusstsein, das mitzubekommen, so dass sie was dagegen unternehmen konnten, beispielsweise ein gemeinsames Wochenende einzuplanen. Und so zerbricht die Beziehung allmählich. Sie merken gar nicht, wie die Liebe bei dem Partner immer weniger wird, wie sie sich immer weniger Zeit füreinander nehmen.
AVIVA-Berlin: Da kommt auch hinzu, dass Ali viel Zeit in ihre Karriere investieren muss, während David beruflich nicht erfolgreich ist.
Vanessa Jopp: Ja, das ist für Männer oft ganz schlimm, wenn die Frau erfolgreicher ist als der Mann. Einige können da schon mit umgehen, andere noch gar nicht. Da braucht es viel Selbstwertgefühl.
AVIVA-Berlin: Sie sagten zuvor, Sie haben leider nicht soviel Zeit, um selbst ins Kino zu gehen. Werden Sie sich denn auf der Berlinale Filme anschauen? Haben Sie schon einen persönlichen Favoriten unter den Wettbewerbsfilmen?
Vanessa Jopp: Zur Berlinale werde ich auf jeden Fall gehen. Die Filme muss ich ja erst sehen, aber ich freue mich besonders auf den Film "Requiem" von Hans-Christian Schmid.
AVIVA-Berlin: Vielen Dank für das Interview!
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